Deutschland: Einzelhändler drängen auf neue Impulse, um eine US-Apokalypse zu verhindern
Nach einem historischen Umsatzrückgang durch die Pandemie sagen die Einzelhändler, dass weitere wirtschaftliche Hilfe jetzt entscheidend sei. Die Verlagerung zum Online-Shopping hat sich während dem Lockdown noch beschleunigt und Deutschlands Geschäfte verwundbar gemacht.
Deutschlands Innenstädte sind zwar wieder belebt, aber nicht mehr auf dem gleichen Niveau wie vor dem Coronavirus. Schlimmer noch, erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die Menschen nicht mehr mit derselben Begeisterung Geld ausgeben. Der Einzelhandelssektor des Landes erwartet, dass der diesjährige Verlust im Non-Food-Handel 40 Milliarden Euro (45,6 Milliarden Dollar) betragen wird. Der Umsatz wird Ende 2020 um 22% gegenüber dem Vorjahr zurückgehen, sagte der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels HDE.
Die in dieser Woche veröffentlichten Zahlen zeigten, dass die Bekleidungs- und Schuhgeschäfte am stärksten von den im März und April gemachten Online-Bestellungen betroffen waren und die Verkäufe um 65% bzw. 61% einbrachen. Die deutschen Juweliere und Spielwarengeschäfte mussten unterdessen einen Umsatzrückgang von fast 50% wegstecken.
“Einzelhändler in großen Stadtzentren, die viele Touristen anziehen, sind am stärksten betroffen. Asien und Russlands Wohlhabende fehlen”, sagte Markus Wotruba, Forschungsleiter des Einzelhandelsanalysten BBE, gegenüber der DW. Er fügte hinzu, dass die Deutschen vorerst eher in ihrer unmittelbaren Umgebung einkaufen, was das Einzugsgebiet vieler regionaler Einkaufszentren verkleinert hat.
Es kommen Konkurse im Einzelhandel
Der HDE sieht auch eine Welle von Insolvenzen im deutschen Einzelhandel vor Ende des Jahres voraus – potenziell bis zu 10.000 Unternehmen, mit denen auch über hunderttausend Arbeitnehmer betroffen sein könnten. Wirtschaftliche Maßnahmen der Regierung haben es dem Einzelhandel bisher erspart, sie müssen frühestens im September das Unvermeidliche erklären. Auch Regelungen, durch die Vermieter Mietverträge wegen nicht bezahlter Mieten nicht kündigen können, haben ihnen geholfen. Eine zweite Infektionswelle und neue Sperrungen wären jedoch für viele Einzelhändler schwer zu ertragen, warnt der HDE.
Der größte Warenhauskonzern des Landes, Karstadt Kaufhof, ist das bisher prominenteste Opfer. Im vergangenen Monat kündigten sie die Schließung von 62 ihrer 172 Filialen und 20 Filialen der Tochtergesellschaft Karstadt Sports an. Karstadt und Galeria Kaufhof sind zwei Marken, die sich schon lange in das kollektive Gedächtnis der meisten Deutschen eingebrannt haben. Seit mehr als 130 Jahren haben sie eine große Anziehungskraft auf die Stadtzentren. Die Präsenz dieser sogenannten Ankermarken ermutigte die Käufer auch, sich zu kleineren, unabhängigen Einzelhändlern zu wagen. In den letzten Jahren haben jedoch die Fachgeschäfte – und in jüngster Zeit auch das Online-Shopping – alle bis auf die treuesten Fans der Giganten übernommen.
Die Käufer sind zwar in die deutschen Innenstädte zurückgekehrt, aber sie geben weniger aus.
“In Großstädten sind Vermieter mit den [Filial-]Schließungen einverstanden, weil sie dann diese riesigen Grundstücke in Wohn- und Büroräume umwandeln können. Aber in Leverkusen [bei Köln] beispielsweise befindet sich die Karstadt-Filiale bereits in einem gemeinsamen Gebäude mit zwei Wohnanlagen. Da wird es schwieriger werden, einen neuen Mieter für die Einzelhandelsflächen zu finden”, sagte Christoph Scharff, Geschäftsführer und Leiter der Einzelhandelsdienstleistungen bei BNP Paribas Real Estate, gegenüber dem DW.
Die Gefahr, dass Geschäfte leer stehen, bereitet den Politikern auf Stadt- und Gemeindeebene große Sorgen, vor allem in kleineren, weniger attraktiven Gebieten, wo die Schließungen Auswirkungen auf den gesamten Einzelhandel haben werden.