Chinas wirtschaftlicher Verlust könnte ein Gewinn für Marokko sein

Marokko wird davon profitieren, wenn europäische Firmen, die von COVID-19 betroffen sind, ihre Lieferketten verkürzen wollen. Angesichts der Neigung von europäischen Unternehmen zu Effizienz und den niedrigen Kosten, die China bietet, könnten die Gewinne aber begrenzt sein.

Marokko wird davon profitieren, wenn europäische Firmen, die von COVID-19 betroffen sind, ihre Lieferketten verkürzen wollen. Angesichts der Neigung von europäischen Unternehmen zu Effizienz und den niedrigen Kosten, die China bietet, könnten die Gewinne aber begrenzt sein.

Die Coronavirus-Pandemie hat das übermäßige Vertrauen europäischer Unternehmen und Regierungen – die bereits von den Handelsspannungen zwischen den USA und China gebeutelt sind – in China bei fast allem, von Autos bis zu Medikamenten, offenbart.

Das hat die Europäische Kommission dazu veranlasst, “strategische Autonomie” in Schlüsselsektoren wie der pharmazeutischen Industrie und den Aufbau zuverlässigerer und diversifizierter Lieferketten als Teil eines vorgeschlagenen Coronavirus-Wiederherstellungspakets im Wert von 750 Milliarden Euro (858 Milliarden Dollar) zu fordern. 

Deutschland, das laut dem Münchner Ifo-Institut zu 17% von globalen Lieferanten abhängig ist, arbeitet zudem an einer Strategie zur Stärkung lokaler Lieferketten und zur Minimierung künftiger Störungen. Es wird erwartet, dass die neue Strategie strengere Vorschriften zu Menschenrechten und Umweltschutz bei importierten Waren mit sich bringen wird. Das ist ein Schritt, der nach Meinung von Experten die lokalen Hersteller stärken würde.  

“Wenn man sich Marokko anschaut, gibt es dort günstigere Bedingungen für bestimmte Bereiche, insbesondere in Bezug auf erneuerbare Energien und umweltbezogene Sektoren. Marokko ist ein ziemlicher Spitzenreiter und die EU versucht, sich daran zu beteiligen”, sagte Guillaume Van Der Loo vom Brüsseler Think-Tank Center for European Policy Studies gegenüber der DW. “Die Idee, die die Europäische Kommission bereits über die Diversifizierung der Lieferketten geäußert hat, könnte für Marokko von Vorteil sein und die Verhandlungen über das neue Handelsabkommen beschleunigen.”

Verlockung der Niedrigkosten-Wirtschaft

Obwohl Marokko in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrere Wirtschaftsreformen durchgeführt hat, bleiben Herausforderungen bestehen, darunter Kapitalverkehrskontrollen und ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Das Bildungssystem des Landes, das in den 1980-er Jahren überholt wurde, hat es nicht geschafft, das Qualifikationsniveau der Jugend des Landes anzuheben, so dass sie für Aufgaben im mittleren Management besonders ungeeignet ist. 

Die potenziellen Gewinne Marokkos aus dem Nearshoring durch europäische Unternehmen könnten begrenzt sein. Das liegt an der Vorliebe von europäischen Unternehmen für die Effizienz und niedrige Kosten, die China bietet. Trotz der Risiken der Pandemie und der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und der asiatischen Wirtschaftsmacht schließen Experten einen massiven Abzug aus China aus. Sie weisen darauf hin, dass andere Volkswirtschaften möglicherweise nicht über die Kapazitäten in Bezug auf qualifizierte Arbeitskräfte, Infrastruktur und Rohstoffe verfügen, um den Bedarf der Firmen zu decken, die nach Alternativen zu China suchen.  

Es wird erwartet, dass sich das nordafrikanische Land auch der harten Konkurrenz aus Ländern innerhalb der EU wie Portugal, Polen und Rumänien stellen muss, die relativ niedrige Löhne haben und über etablierte Verbindungen zu großen europäischen Firmen verfügen. Warschau ist bestrebt, Investitionen anzuziehen, indem sie den Unternehmen Steuererleichterungen anbietet, die planen, ihre Gewinne im Land zu reinvestieren. Rumänien plant die Einführung von Programmen zur Förderung von Greenfield-Investitionen.